Felix Mitterers „Volksstücke“
gewähren immer tiefe Einblicke in die dunkelsten Winkel der „österreichischen“ Seele. Das äußerlich freundliche gemütliche Wesen des Österreichers entpuppt sich bei genauerem Hinsehen bald als Fassade eines im Grunde verschlossenen und eher ängstlichem Charakters, dem alles, was er nicht kennt, alles was von draußen sprich woanders herkommt, verdächtig vorkommt und Furcht einflößt. Der Österreicher ist ein zutiefst misstrauischer Mensch, der sich nur unter seinesgleichen halbwegs fühlt. Es muss nicht mal das Ausland sein, selbst in einem andern Bundesland, in einer andern Stadt, in einem andern Dorf kann er zu fremdeln beginnen. Seine - in einer ständigen Nabelschau wurzelnden - Unsicherheit kompensiert er gern mit Besserwisserei, Überheblichkeit und einem „Mir san Mir“ - Gehabe, das jedes Anderssein und Andersdenken als Möglichkeit ausschließt.
Der über hunderte Jahre andauernde Obrigkeitsglaube an den Kaiser oder die da oben nach dem Motto „Der Papa wird’s schon richten“ und der auf Leiden und Buße pochende, aufs Jenseits verweisende Katholizismus drücken schwer aufs Gemüt. Die Enttäuschung, dass die da oben nicht so spuren, wie man es erwartet hätte, die Erfahrung, dass Gott nicht so gerecht und gütig ist, wie man es erwünscht hat, erzeugen Frust. Und die Wahrnehmung, dass man sich nicht behaupten oder wehren kann, weil man es ob der zuvor genannten Haltungen nie gelernt hat, ist sehr schmerzhaft.
Die Unfähigkeit zur Einsicht eigener Fehler und Mängel, der Unwille, die eigene Trägheit zu überwinden, die Unlust, mühsam Neues zu erfahren und die Verantwortung für sein Schicksal selbst zu übernehmen, führt zu einem kleinkarierten Weltbild, das zum Maß aller Dinge wird. Unter Berufung auf Ansprüche und Rechte aufgrund der eigenen Herkunft, auf die hier anerkannten Werte und unter Verweis auf Gottes Willen wird Unerwünschtes, Unbequemes, weil Unvertrautes strikt abgelehnt. Und wer sich dieser Denkweise, dieser ungeheuerlichen scheinheiligen Doppelmoral entgegenstellt oder sich durch Verlassen der Heimat entzieht, wird als Verräter entlarvt und mit Ächtung bestraft.
Diese Selbstgerechtigkeit war und ist die Keimzelle für Fremdenhass und Faschismus.
Felix Mitterers Volksstücke setzen die Tradition des gesellschaftskritischen Volkstheaters eines Ödön von Horvath fort und entwickelt sie weiter.
Mitterers Stücke sind meist düster, brutal, pessimistisch und von einem negativen Ausgang geprägt. Durch die Verdichtung des Konfliktpotentials wirken sie im ersten Augenblick übertrieben. Aber letztlich wird die Handlung gerade dadurch erschreckend real.
Und dennoch findet man in Mitterers Stücken auch immer wieder komische Momente, die freilich der Unzulänglichkeit der Charaktere und in der Absurdität der Situationen entspringen. Das Lachen basiert in Mitterers Dramen eher auf einem Aha-Erlebnis, in dem man sich selbst oder Schon-Erlebtes wiedererkennt. Oder aber auch einem „Übersprungslachen“, weil man den Ernst einer Situation kaum aushält.
Ich wünsche unserem Publikum einen spannenden, erkenntnisreichen Abend.
Peter W. Hochegger
Fotos: Harald Brutti